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Was ist „systemische Sozialarbeit“?

Zuletzt bearbeit am Mittwoch, 18 Mai, 2022

WAS IST „SYSTEMISCHE SOZIALE ARBEIT“? Wir haben vor einigen Jahren mehrere SystemikerInnen um ihre Beschreibung dessen, was sie unter „systemisch“ bzw. unter „Systemischer Sozialarbeit“ verstehen, gebeten – um deutlich zu machen, dass es eine ganze Reihe (unterschiedlicher) Verstehensmöglichkeiten und Auffassungen gibt. Wenn auch Sie eine kurze Definition beifügen mögen, mailen Sie mir – ich bin gespannt. Vielen Dank!

Systemisch heißt, wir haben immer die Wahl.

Ines Müller, Gera (Fortbildungsteilnehmerin)

Eine Antwort darauf muss immer zuerst klären, wie SOZIALE ARBEIT beschrieben werden kann, damit es hier nicht zu sozialtheoretischen Verkürzungen kommt. SOZIALE ARBEIT ist ein organisationaler Teilbereich der funktional differenzierten Gesellschaft, der diejenigen Probleme der Lebensführung bearbeitet, die sozialpolitisch und/oder professionell als relevant angesehen werden. Soziale Arbeit ermöglicht Individuen an den relevanten Sozialsystemen teilzunehmen (Wirtschaft, Erziehung, Familie etc.), an deren Ressourcen u. Leistungen teilzuhaben und diese mitzugestalten. SYSTEMISCHE SOZIALE ARBEIT betrachtet Ressourcen und Leistungen insbesondere mit Hinblick auf die Ermöglichung von Inklusion und Exklusion in soziale Systeme und entwickelt unter dieser Perspektive gemeinsam mit ihren Adressaten u. Auftraggebern neue Handlungsmöglichkeiten. Methodisch stützt sie sich auf eine bunte Palette von Verfahren aus verschiedenen beraterischen, pädagogischen u. therapeutischen Arbeitsansätzen, denen allen dieser Grundgedanke voraus liegt: nämlich die Aufmerksamkeiten, die Beobachtungen und die Interventionen auf die Relationen und Beziehungsmuster zwischen den verschiedenen Systemen zu richten.

Jan V. Wirth (Mai 2010)

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Systemische Sozialarbeit ist die Kunst zwischen unterschiedlichen Wirklichkeitsbeschreibungen, Interessens- und Auftragslagen, Beschreibungen von Schwierigkeiten und Ressourcen unter der Maxime der Wertschätzung von Menschen und der Würdigung ihrer Leistungen allparteilich zu vermitteln. Systemische SozialarbeiterInnen sind sowohl Diplomaten in als problematisch beurteilten Situationen, als auch die Choreografen eines gelungenen Alltags im Angesicht vielfältiger Anforderungen an Kinder, Jugendliche und Erwachsene in für sie belastenden Lebenslagen. Systemisch orientierte SozialarbeiterInnen verstehen sich als Anwälte der Vielfalt von Lebensformen und der mit diesen einhergehenden jeweiligen unterschiedlichen Lebenskonzepten, sie glauben an die Plausibilität individueller Lebensentwürfe und Lebensbewältigungsstrategien und handeln als BeraterInnen, BegleiterInnen oder BetreuerInnen im Interesse der Maximierung von Denk- und Handlungsmöglichkeiten bzgl. der Zielvorstellungen unterschiedlicher Adressaten, AuftraggeberInnen und KooperationspartnerInnen. Systemische SozialarbeiterInnen verstehen sich dabei als IdeengeberInnen, die davon ausgehen, dass sie ihre KooperationspartnerInnen nicht zielgerichtet steuern können, sondern ausschließlich zur Eigenaktivität anregen können.

Ludger Kühling (Dezember 2004)

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Sozialarbeit ist – aus systemischer Sicht – Hilfe zur Auflösung von Außenseiterentwicklungen: Dort, wo sich das Wechselspiel zwischen Einzelnen bzw. Subgruppen einerseits und der „übrigen Gesellschaft“ andererseits nicht stabilisierend, sondern eskalierend entwickelt, soll das Finden von Lösungen unterstützt werden, die den Konflikt überflüssig machen. Systemisch ist die Auffassung, daß die Klienten der Sozialarbeit immer alle Beteiligten an solchen Außenseiterentwicklungen sind (die indizierten Klienten und die, die diesen Schwierigkeiten machen oder helfen wollen), sowie daß eine solche Entwicklung immer aktuell von allen Beteiligten gemeinsam erzeugt wird. Systemische Sozialarbeit ist Sozialarbeit im Bewußtsein systemischer Zusammenhänge: Komplexität, Zirkularität und Selbstreproduktion von Strukturen; Konstruktivismus und Unmöglichkeit der Unbeteiligtheit.

Walter Milowiz (März 2004)

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Systemische Sozialarbeit fußt auf zwei Grundannahmen: Erstens: Alles ist systemisch. So sind biologische, psychische und soziale Systeme verbunden mit jeweils kleineren bzw. größeren Systemen. In der Sozialarbeit wird mit unterschiedlichsten Systemen gearbeitet, die dann auch entscheidend dafür sind, welche Kontexte beachtet werden sollten. Zweitens: Die Landkarte ist nicht das Gebiet. Menschen betrachten die Welt nach jeweils eigenen Vorstellungen, Normen und Werten, die aus ihren Erfahrungen entstehen. Die Erfahrungen der Menschen beeinflussen das Denken, Handeln und Fühlen. Daher wissen Klienten auch am besten, was gut für sie ist und manchmal benötigen sie Unterstützung. Vor diesem Hintergrund ist systemische Sozialarbeit höchst anspruchsvoll, verantwortlich und muss sich bescheiden. Die Professionellen sind aufgefordert, wechselseitige Bedingungsfaktoren einer Situation zu erkennen und für die Fragestellung bzw. den Auftrag Interventionen zu erfinden, die das Klientel, eine Institution oder ein Gemeinwesen in Bewegung bringt. Systemische Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen gewinnen an Effektivität und Motivation, wenn sie Teamarbeit mit anderen systemisch orientierten Kollegen und Kolleginnen als Arbeitsform wählen.

Britta Haye (Dezember 2004)

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Systemische Sozialarbeit interessiert sich nicht nur und nicht in erster Linie für die psychischen Prozesse von Menschen in schwierigen Lebenslagen, sie ist interessiert an den sozialen und politischen Umständen jeweiliger individueller Lebenslagen. Im Aufmerksamkeitsfokus Systemischer Sozialarbeit stehen so die unterschiedlichen Lebensbereiche der KlientInnen, ihre Verwobenheit mit Helfersystemen und gesellschaftlichen Subsystemen. Systemische Sozialarbeit praktiziert daher immer eine Form von Netzwerkarbeit. M.E. ist systemische Sozialarbeit immer auch Empowerment, da es um eine Haltung der Profis, die die Ressourcen in der Tiefendimension ernstnimmt und respektiert, geht. Ressourcenanalyse /Ressourcenarbeit und die aus der systemischen Therapie bekannte Haltung und Überzeugung, dass der Adressat von Sozialarbeit der Problemlösung selber mächtig ist, würde ich als die Hauptpfeiler und damit als das Kerngeschäft von systemischer Sozialarbeit sehen.

Renate Zwicker-Pelzer (Dezember 2004)

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Systemische Sozialarbeit (SysSoz) ist eine Sozialarbeit wie jede andere. Sie unterscheidet sich nur dadurch, dass sie sich systemtheoretisch begründet und reflektiert. Einige ihrer systemtheoretischen Prämissen lauten:

  1. Ins Kalkül professionellen Handelns sind stets unterschiedliche systemische Referenzebenen einzubeziehen: Neben der individuellen Handlungsebene, auf der sich konkrete psychische Systeme verhalten, sind stets interaktive, organisatorische und gesellschaftliche Ebenen zu berücksichtigen, auf denen sich die Eigendynamiken sozialer Systeme entfalten.
  2. Alles, was der SysSoz in ihrem Handlungsfeld begegnet (Systeme, Menschen, Fälle, Probleme, Lösungen, Programme, Strukturen, Prozesse etc.), ist sozial konstruiert und deshalb auch sozial veränderbar.
  3. Die für die SysSoz relevanten (psychischen und sozialen) Systeme sind hochkomplexe Systeme, die sich einem vollständigen Verstehen und einer direkten Beeinflussung entziehen. Deshalb kann Intervention nur noch als Irritation gedacht werden.
  4. Die Komplexität der Systeme führt dazu, dass bei aller Lösungsorientiertheit die Problemhaftigkeit auch der scheinbar besten Lösungen im Blick behalten wird.
  5. Die Komplexität der Systeme führt weiterhin dazu, dass professionelle Sicherheit nicht mehr aus der eindeutigen Kenntnis des ‚wahren Sachverhalts‘ oder eines ‚one best way‘ zu gewinnen ist, sondern nur noch aus einer Vielfalt von Problembeschreibungen und Lösungsmöglichkeiten, die es nach ihren Kosten und Folgekosten zu bewerten gilt.
  6. SysSoz verschreibt sich in ihrer Praxis und deren Reflexion dem ethischen Imperativ des Heinz von Foerster: „Schaffe Möglichkeiten!“

Theodor M. Bardmann (Dezember 2004)

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Systemische Soziale Arbeit als Disziplin beschränkt sich nicht auf Familien, Organisationen und die funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften. Sie beruht auf einem wissenschaftlich begründeten Paradigma,

  • das von der metatheoretischen Vorstellung eines allgemeinen, systemischen Aufbaus der physikalischen, biologischen, psychischen, sozialen und kulturellen Wirklichkeit (Welt) ausgeht;
  • das den Menschen als psychobiologisches System mit Bedürfnissen und höchst komplexen affektiven, normativen und kognitiven Lernprozessen in einem sozialkulturellen Umfeld und unterschiedlichen Mitgliedschaften in sozialen Systemen betrachtet,
  • das die (Welt)Gesellschaft nach schichtspezifischen, funktionalen, sozialräumlichen, niveaunalen, ferner alters- und geschlechtsbezogenen sowie ethnisch-kulturellen Kriterien differenziertes, komplexes Systemen analysiert und
  • davon ausgeht, dass die Menschen für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse und Wünsche miteinander kooperieren oder Konflikte haben und dabei von verschiedensten sozialen (Teil)Systemen unterschiedlich abhängig sind.

Systemische Soziale Arbeit als Profession befasst sich mit sozialen Problemen – sozialer Not und psychischem Leiden -, die sich aufgrund der Abhängigkeit der Menschen von sozialen Systemen, ihren Mitgliedern wie ihrer Struktur und Kultur ergeben. Soziale Arbeit ist deshalb präsent in verschiedenen sozialen Systemen der Mikro-, Meso- und Makroebene (Familie, Nachbarschaft, lokales, nationales und internationales sozialräumliches/politisches Gemeinwesen, aber auch in unterschiedlichen staatlichen wie nichtstaatlichen Organisationen (NGOs), Sie beruht auf einem dreifachen Mandat, nämlich

  • erstens als Hilfeleistungsauftrag an ihre AdressatInnen,
  • zweitens als Auftrag der Gesellschaft bzw. der Trägerorganisationen Sozialer Arbeit und
  • drittens als Auftrag der Profession im Sinne wissenschaftsbasierten Handlungswissens und der im Berufskodex festgelegten ethischen Werte und Normen, insbesondere der Menschenrechte; letztere können bei illegitimen Vorgaben ein eigenbestimmtes Mandat begründen. Die Arbeitsweisen oder Methoden einer systemisch konzipierten Sozialen Arbeit beschränken sich nicht auf kommunikative, visualisierende Techniken, sondern basieren auf komplexes Veränderungswissen in Bezug auf psychische, soziale und kulturelle Systeme.

Systemische Soziale Arbeit ist also eine Handlungswissenschaft, die sowohl im Hinblick auf das disziplinäre wie auf das professionelle Wissen auf systemtheoretischen Grundlagen gründet.

Silvia Staub-Bernasconi (Dezember 2004)

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Soziale Arbeit besteht aus handlungswissenschaftlichen Theorien und einer durch sie geleiteten Praxis. Im theoretischen Feld formulierte Konzepte systematischen, methodischen und reflektierten Handelns sollen die professionelle Unterstützung von Menschen in psychosozialen Krisen, chronifizierten Benach-teiligungsverhältnissen, Bildungs- und Sozialisationsprozessen sichern und fördern. Systemische Soziale Arbeit gründet sich in ihren Handlungskonzepten auf:

  • die beiden zentralen Annahmen einer konstruktivistischen Erkenntnistheorie – die Beziehungseinheit von BeobachterIn und Beobachteten und die subjektive Konstruktion der Wirklichkeit im Kopfe der BeobachterInnen;
  • die Sicht der sozialen Welt und aller intrapsychischen Prozesse als sich stetig verändernde Beziehungsnetzwerke;
  • die Idee, dass kein Mensch nur ohnmächtig oder nur mächtig ist, weil jedes Beziehungssystem Spielräume des Handelns beinhaltet, die es auszuloten und zu erweitern gilt;
  • die Orientierung an Ressourcen zur Erweiterung des Handlungsspielraumes von AdressatInnen (traditionell: KlientInnen) und AnbieterInnen Sozialer Arbeit in einem gemeinsam gebildeten Unterstützungssystem.
  • Für ihre Praxis können systemisch denkende und handelnde SozialarbeiterInnen auf viele Methoden zurückgreifen, die im Kontext von systemischer Therapie, Beratung, Familientherapie entwickelt wurden. Dabei erfordern die Settings der Sozialen Arbeit kreative Modifikationen dieser Methoden – was durchaus auch zur Entwicklung der systemischen Therapie im engen Sinne beitragen kann.

Wolf Ritscher, Esslingen (Nov. 2004)

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Wir sprechen von systemischer Sozialer Arbeit, wenn sich die Praxis ausdrücklich auf eine Sicht- und Vorgehensweise stützt, die: sich auf Systeme bezieht, d. h. die Systemgeschichte einbezieht, Systeme in ihrem Eigensinn und ihren wechselseitigen Abhängigkeiten betrachtet, systemische Grundsätze als Orientierung in der Praxis nutzt, sich selbst in die Beobachtung einbezieht und als Teil von verschiedenen Systemen betrachtet, Systeme unter den Aspekten von sozialer Teilhabe (Inklusion und Exklusion) beobachtet.

Wilfried Hosemann, Bamberg (Nov. 2004)

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Systemisch orientierte Sozialarbeiter streben keine Veränderung von Menschen an, sondern gestalten und reflektieren soziale Zusammenhänge in der Form mit, dass Klientensysteme und andere Systeme Kommunikation zum Anlass nehmen, zusätzliche Möglichkeiten der Erzeugung sozialer Wirklichkeit zu erproben, die als zieldienlich bewertet werden.

Wolfgang Geiling, Bamberg (Nov. 2004)

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Systemische Sozialarbeit ist eine theoretische und methodische Richtung innerhalb der Sozialarbeitspraxis und -wissenschaft, die auf der Systemtheorie basiert. Systemtheorie steht dabei für ein interdisziplinäres Theorieprogramm, das sich aus unterschiedlichsten Wissenschaftsgebieten speist. Das Kennzeichen dieses Theorieprogramms ist, dass es die Welt mithilfe des Systembegriffs zu verstehen und zu beeinflussen versucht. Ein System wird verstanden als eine Unterscheidung, die zwei Seiten hervorbringt: eben das System auf der einen Seite und eine Umwelt auf der anderen Seite. Entscheidend dabei ist, dass sich System und Umwelt zwar wechselseitig voraussetzen, dass aber weder das System auf die Umwelt noch die Umwelt auf das System eindeutig und vorhersehbar einwirken kann. Veränderungen auf der jeweils einen Seite werden von der jeweils anderen Seite nur so aufgenommen, wie es den jeweiligen Möglichkeiten und Strukturen des Systems bzw. der Umwelt entspricht. Für die Sozialarbeit eignet sich die Systemtheorie unter anderem deshalb so gut, weil sie in der Lage ist, alle sozialarbeiterisch relevanten Prozesse, nämlich soziale Kommunikationen, psychische Wahrnehmungen und körperliche Phänomene sowohl in ihrer jeweiligen Eigenständigkeit als auch in ihrer Abhängigkeit zu beschreiben und zu erklären.

Heiko Kleve, Berlin (Okt. 2004)

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  1. Systemisch denken und handeln heißt, (soziale) Phänomene nicht isoliert zu betrachten, sondern zu versuchen, sie in ihrem Kontext und in ihrer Vernetzung mit anderen sozialen Phänomenen zu verstehen. Ein System ist eine von einem Beobachter wahrgenommene geordnete Ganzheit, die aus Elementen zusammengesetzt ist, welche zueinander in einer bestimmten Relation stehen.
  2. Die Wissenschaft Soziale Arbeit ist eine „systemische Wissenschaft“. Soziale Arbeit als Wissenschaft hat die Aufgabe, soziale Probleme zu beschreiben, zu erklären und zu verändern. Dies ist nur interdisziplinär, aus verschiedenen Perspektiven und bezogen auf „Systeme“, also auf geordnete Ganzheiten, die zueinander in Beziehung stehen, sinnvoll.
  3. Soziale Arbeit ist eine „systemische Profession“. Sozialarbeiterisches Handeln ist immer bezogen auf eine Person in ihrer sozialen Umwelt – das „person-in-environment“ – Paradigma ist konstitutiv für professionelle Soziale Arbeit. Soziale Arbeit ist systemisch – in einem weiteren Sinne – oder sie ist nicht Soziale Arbeit.
  4. Bei der Erklärung und Beschreibung sozialer Probleme werden allerdings sinnvoller weise nicht nur systemtheoretische Erklärungsansätze genutzt, sondern alle relevanten sozialwissen-schaftlichen Erkenntnisse zu einem Sachverhalt integriert.
  5. Auch sozialarbeiterische Methoden oder Interventionen müssen zum jeweiligen Problem und zum jeweiligen Arbeitsfeld passen – es ist nicht sinnvoll zu versuchen, die Probleme und das Arbeitsfeld den Methoden anzupassen. Auch auf der Ebene der Intervention ist es deshalb sinnvoll und notwendig, verschiedene Interventionsformen und Interventionswissen aus verschiedenen Quellen zu nutzen und z.B. – je nach Aufgabenstellung – Sachhilfe, Information (z.B. rechtliche Beratung) , Ressourcenerschließung oder sozialanwaltschaftliche Methoden – zu integrieren.
  6. Systemische Sozialarbeit im engeren Sinne kann deshalb nicht heißen, ausschließlich systemische Modelle für die Beschreibung und Erklärung sozialer Probleme oder Phänomene und ausschließlich systemische Methoden bzw. Interventionsformen beim professionellen Handeln anzuwenden.

Es erscheint mir deshalb sinnvoll, von „Systemischer Sozialarbeit“ im engeren Sinne dann zu sprechen, wenn bei der Integration von unterschiedlichem Beschreibungs-, Erklärungs-, Werte- und Interventionswissen „systemische Grundhaltungen“ konstitutiv sind, z.B.:

  • Zirkularität
  • Lösungsorientierung,
  • Respekt und Respektlosigkeit,
  • Kontextsensibilität,
  • (sozialer) Konstruktionismus
  • das Interesse am Verstehen und Verändern von Mustern im Fühlen, Denken und Handeln von Einzelnen, Familien, Teams, Organisationen …..

Ulrich Pfeifer-Schaupp, Freiburg (Okt. 2004)

Systemische Sozialarbeit wendet systemische Theorien, Methoden und Haltungen auf das gesamte Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit an. Der systemische Blick richtet sich dabei u.a. auf

  • den Kontext: Menschliches Verhalten lässt sich, je nach Kontext und Perspektive, unterschiedlich betrachten und verstehen. Systemische Sozialarbeit weiß um die Möglichkeit mehrerer Standpunkte und Perspektiven und bezieht sie ein.
  • die Aufträge: Systemische Sozialarbeit orientiert sich an den Aufträgen aller Beteiligten (KlientInnen, Kostenträger, Gesellschaft etc.) und räumt ihnen einen zentralen Stellenwert ein.
  • die Ressourcen: Die immer vorhandenen Stärken und Fähigkeiten von Menschen und die Vorteile selbst schwieriger Situationen werden – methodisch fundiert – zentral in die Arbeit mit einbezogen und genutzt. Systemische Sozialarbeit stellt die Ressourcen in den Vordergrund.
  • die Lösungen und die Zukunft: Entscheidend sind die Lösungsvorstellungen für die Zukunft (weniger die Probleme und ihre Ursachen in der Vergangenheit). Systemische Sozialarbeit betrachtet ihre KundInnen als die Experten dafür, wie die Lösungen beschaffen sein müssen.
  • die Autonomie und den Eigensinn von Menschen: Systemische Sozialarbeit geht von der Würde und der Selbständigkeit aller Menschen aus. Sie haben das Recht und haben die Fähigkeit, selbst über sich zu bestimmen. Ziel systemischer Sozialarbeit ist es, die Anzahl der Handlungsoptionen aller zu erhöhen.
  • Wertschätzung und Respekt: Systemische Sozialarbeit betrachtet alle Beteiligten als gleichberechtigte Partner, würdigt sie und nimmt sie ernst. Sie verfügt über das methodische Handwerkszeug, dies auch methodisch umzusetzen.

Systemische Konzepte lassen sich mit großem Nutzen im beruflichen Alltag anwenden, z.B.

  • in der Arbeit mit KlientInnen (Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen – den verschiedenen Gruppen wie z.B. alten, behinderten, jungen, psychisch oder körperlich kranken, Drogen konsumierenden, straffälligen, obdachlosen Menschen),
  • in der eigenen Institution (mit KollegInnen, im Team, mit Vorgesetzten oder MitarbeiterInnen),
  • in der Arbeit mit kooperierenden Personen, Professionen und Institutionen sowie
  • in kommunal- wie auch gesellschaftspolitischen Prozessen.

Soziale Arbeit hat auf Grund der Komplexität ihrer Aufgabenstellungen schon immer auch systemisch gedacht und gehandelt. Die systemische Sozialarbeit berücksichtigt diese Ansätze und bezieht sie mit ein. Sie kann einen entscheidenden Beitrag für professionelles Selbstbewusstsein von SozialarbeiterInnen liefern. Systemische Sozialarbeit besteht aus einer ganzen Reihe von (teilweise sehr unterschiedlichen) Konzepten, Modellen und Ansätzen. Weder gibt es die eine systemische Sozialarbeit (z.B. in Form einer „Schule“ oder „Lehre“) noch wäre dies wünschenswert oder würde gar den eigenen Ansprüchen genügen: ein zentraler Aspekt systemischer Theorie und Praxis ist die Möglichkeit, selbständig entscheiden zu können – dies heißt auch, zwischen verschiedenen systemischen Denk- und Handlungsansätzen wählen zu können. So betrachten systemisch arbeitende SozialarbeiterInnen diese Konzepte konsequenterweise auch nicht als die einzigen oder die einzig möglichen, sondern verbinden sie mit anderen Theorie- und Praxismodellen der Sozialen Arbeit: „Es gibt immer mindestens sieben Möglichkeiten…“

Johannes Herwig-Lempp (Dez. 2014)

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